Otto Erich Hartleben            Der Sünder I.

1864 – 1905

Wenn ich den Wellenschlag des Meeres höre,

eintönig rauschend, nachts, in dunkler Stunde,

aufblutet des Gewissens alte Wunde,

so stark ich auch mich wider mich empöre.

 

Ich seh ein Weib, gehüllt in Trauerflöre,

das murmelt dumpf mit todesblassem Munde,

was mich vor Graun erbeben macht, die Kunde,

daß sie der Schande Fluch im Grabe störe.

 

Weh meinem fieberglut-durchlohten Hirne!

Ich seh sie winken mir mit schmalen Händen –

und kalte Tropfen perlen von der Stirne.

 

Der Rache Faust seh ich auf mich sie wenden,

weil sie durch mich erniedrigt ward zur Dirne –

in Qualen fühl ich meine Nächte enden.

 

 

 

 

 

 

 

 

Otto Erich Hartleben            Revolverle

1864 – 1905

Von keiner Not besiegt und keiner Liebe,

hab ich genossen früh und stets genossen.

Die Eltern starben mir, und kalt verschlossen

frönt ich als Kind schon eigensüchtgem Triebe.

 

Bekam derzeit vielleicht zu wenig Hiebe

und ward verzogen früh zu eitlen Possen?

Und doch hat sich der Mutter Blut ergossen

in meine Brust, daß es lebendig bliebe.

 

Mein Herz war warm und warm hat es empfunden,

für alles Edle hat mein Puls geschlagen.

Das Leben schwoll, die Dämme sind geschwunden,

 

der Sinne Strom hat sie hinweggetragen.

Du, Pepi, hast das Lösungswort gefunden:

Revolverle kannst du so drollig sagen.

 

 

 

 

 

 

Otto Erich Hartleben            Tristan-Sonett

1864 – 1905

Da nun du schlummerst, tasten Traumgestalten

an deinen Schlaf: daß du die Hände regen,

unwillig deine Lippen mußt bewegen

und weiter ringen mit des Tags Gewalten.

 

Einst wirst du ruhn in schutzesstarken, kalten

Armen der Nacht: traumlos wird sich ihr Segen

auf deine wunde, welke Stirne legen –

und starr und glatt sind deines Kleides Falten.

 

Wenn sich, gequält, in seiner Träume Kreise

der Schläfer windet, lächelst du so weise:

es kommt der Tag und läßt sich nicht betrügen.

 

O lerne lächeln auch ob dieser Zeiten,

ob dieses Tages dreisten Wirklichkeiten –

es kommt die Nacht und straft sie alle Lügen!

 

 

 

 

 

 

Otto Erich Hartleben            Der Dichter

1864 – 1905

Ists nicht im Grunde wesenloser Tand,

was ich in Reimen aneinander füge?

Ist’s nicht im Grunde eine bunte Lüge,

was ich in müßig heitrem Spiel erfand?

 

Scheint dir mein Reimgebäude imposant?

Merkst du denn nicht, wie keck ich dich betrüge,

dieweil ich mich mit jedem Reim begnüge,

den mir der Zufall grade legt zur Hand? –

 

Mit Gott und Weltall spiel ich kühne Spiele!

Der Dichter wird Jongleur – er wirft im Nu

der allerzartsten Gegenstände viele

 

hoch durch die Luft – es glückt ihm Coup auf Coup,

denn alles kehrt zurück zu ihm – dem Ziele...

Gott ist die Welt – und Gott und ich sind du!